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.Der »frischen Luft« und der Vorteile wegen, die die Nähe Londons bot, versammelte sich dort eine große Zahl pensionierter Armee- und Marineoffiziere.Oma führte ein in jeder Hinsicht gesellschaftsbezogenes Leben – sie war zeit ihres Lebens eine gesellige Frau.Ihr Haus war immer voll von alten Obersten und Generälen, für die sie Westen und Jacken bestickte und Bettsocken strickte: »Ich hoffe, Ihre Frau wird nichts dagegen haben«, sagte sie, wenn sie ihnen die Geschenke überreichte, »ich möchte keine Scherereien haben!« Die alten Herren gaben galante Antworten und entfernten sich, stolz auf die Wirkung ihrer männlichen Reize, mit dem Gefühl, immer noch ein ganzer Kerl zu sein.Ihr verstaubt-schneidiges Auftreten schüchterte mich ein.Ich fand die Scherze, die mich belustigen sollten, überhaupt nicht witzig, und ihre listig-schelmische, spöttische Art machte mich nervös.»Und was möchte die junge Dame zum Nachtisch? Etwas Süßes für die kleine Süße? Ein Pfirsich vielleicht? Oder eine von diesen goldenen Reineclauden, die so gut zu deinen blonden Locken passen?«Rot vor Verlegenheit bat ich um einen Pfirsich.»Und welcher Pfirsich soll es sein? Such dir einen aus.«»Bitte«, murmelte ich, »ich möchte den größten und den besten.«Brüllendes Gelächter.Ohne es zu wissen, schien ich eine witzige Bemerkung gemacht zu haben.»Du darfst nie das größte Stück verlangen«, erklärte mir Nursie später.»Das klingt gefräßig.«Ich war bereit zuzugeben, dass es gefräßig klang, aber was war daran so spaßig?Wenn es um gutes Betragen in der Gesellschaft ging, war Nursie in ihrem Element.»Du musst schneller essen.Nimm doch einmal an, du würdest, wenn du erwachsen bist, bei einem Herzog dinieren.«Nichts erschien mir unwahrscheinlicher, aber ich schloss die Möglichkeit nicht aus.»Dort wird es einen Butler geben und mehrere Lakaien, und im gegebenen Moment nehmen sie dir den Teller weg, ob du nun aufgegessen hast oder nicht.«Der Gedanke ließ mich erblassen, und ich nahm energisch meinen Hammelbraten in Angriff.Nursie wusste häufig Episoden aus dem Leben der Aristokratie zu erzählen.Sie spornten meinen Ehrgeiz an.Ich wollte unbedingt eines Tages den Titel Lady führen dürfen.Aber Nursies gesellschaftliches Wissen machte mir einen Strich durch die Rechnung.»Das wirst du niemals dürfen«, sagte sie.»Niemals?« Ich war entsetzt.»Niemals«, sagte Nursie, eine Realistin reinsten Wassers.»Um eine Lady Agatha zu sein, müsstest du schon so geboren werden.Du müsstest die Tochter eines Herzogs, eines Marquis oder eines Earls sein.Wenn du einen Herzog heiratest, wirst du Herzogin, aber nur, weil dein Mann diesen Titel besitzt.Das hat dann nichts mit deiner Geburt zu tun.«Darüber sollte man sich schon früh im Leben klar werden, das ist wichtig.Es gibt Dinge, die man einfach nicht haben kann – natürliche Locken im Haar, schwarze Augen (wenn man blaue hat) oder eben den Titel einer Lady Agatha.Im Großen und Ganzen halte ich den Snobismus meiner Kindheit, also den meiner Geburt, für erträglicher als den des Reichtums oder den intellektuellen Snobismus.Der intellektuelle Snobismus scheint mir heute eine besondere Form von Neid und Missgunst hervorzubringen.Die Eltern sind entschlossen, alles zu tun, um ihre Sprösslinge brillieren zu lassen.»Wir haben große Opfer gebracht, um dir eine gute Erziehung zu ermöglichen«, sagen sie.Das Kind fühlt sich schuldbeladen, wenn es ihre Hoffnungen nicht erfüllen kann.Die Leute sind so schrecklich sicher, dass alles nur eine Frage der günstigen Gelegenheit ist – nicht der natürlichen Eignung.Ich glaube, dass die viktorianischen Eltern vernünftiger dachten und mehr Verständnis für ihre Kinder hatten und für das, was sie brauchten, um ein glückliches und erfolgreiches Leben zu führen.Man bemühte sich weit weniger, mit den Nachbarn Schritt zu halten.Die Viktorianer beurteilten ihre Kinder leidenschaftslos und schätzten ihre Fähigkeiten realistisch ein.Aus A.würde offensichtlich eine »Schönheit«, aus B.der Kopf der Familie werden, C.würde unansehnlich bleiben und war ganz gewiss kein intellektueller Typ.Für Sozialarbeit war sie noch am besten geeignet… Natürlich lagen sie manchmal falsch, aber im Großen und Ganzen funktionierte das System.Im Gegensatz zum Großteil unserer Freunde waren wir nicht sehr wohlhabend.Als Amerikaner hielt man Vater automatisch für »reich«.Man hielt alle Amerikaner für reich.In Wahrheit war er einigermaßen gut situiert.Wir hatten weder einen Butler noch einen Lakai.Wir hatten keinen Wagen mit Kutscher und Pferden.Wir hatten drei Dienstboten, für jene Zeit ein Minimum.Wenn ich mich an einem feuchten Tag mit einer Freundin zum Tee treffen wollte, ging ich in Regenmantel und Galoschen zweieinhalb Kilometer zu Fuß.Für ein Kind wurde keine Mietskutsche bestellt, außer wenn es in einem empfindlichen Kleid zu einer großen Party ging.Andererseits waren die Mahlzeiten, die den Gästen in unserem Haus vorgesetzt wurden, unglaublich aufwändig nach modernen Maßstäben – heute müsste man einen Chef- und einen Hilfskoch dazu engagieren.Unlängst fiel mir das Menü einer unserer Dinnerpartys (für zehn Personen) in die Hände.Die Speisenfolge begann mit (nach Wahl) klarer oder eingemachter Suppe, dann gab es gekochten Steinbutt oder Schollenfilet, darauf ein Sorbet, anschließend Hammelrücken und – eigentlich nicht ganz passend – Hummermayonnaise.Zum Nachtisch wurden Pudding Diplomatique, Charlotte Russe und Obst serviert.All diese Arbeit bewältigte Jane ohne jede Hilfe.Bei uns war es meine Schwester, die schon früh als »Kopf der Familie« anerkannt wurde.Die Vorsteherin ihrer Schule in Brighton riet, sie an das Women’s College in Girton gehen zu lassen.Vater nahm den Vorschlag ungnädig auf.»Wir wollen aus Madge keinen Blaustrumpf machen«, meinte er.»Sie soll ihre Ausbildung in Paris erhalten.« Also fuhr meine Schwester nach Paris, äußerst befriedigt, da sie keinerlei Lust hatte, nach Girton zu gehen.Sie war witzig, sehr unterhaltsam, schlagfertig und erfolgreich in allem, was sie anpackte.Mein Bruder, ein Jahr jünger als sie, besaß großen persönlichen Charme.Er hatte eine Vorliebe für Literatur, war aber nicht sonderlich intelligent.Meine Eltern waren sich, glaube ich, darüber im Klaren, dass er »der Schwierige« sein würde.Er interessierte sich für Maschinenbau.Vater hatte gehofft, er würde in eine Bank eintreten, erkannte jedoch, dass ihm die notwendigen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Karriere fehlten.Also begann er mit Maschinenbau – und kam auch da nicht weit, weil ihm die Mathematik Schwierigkeiten machte.Was mich betrifft, wurde ich stets, wenn auch auf nette Weise, als die »Langsame« angesehen.Meine Mutter und meine Schwester reagierten ungewöhnlich schnell – ich kam da nicht mit.Außerdem sprach ich undeutlich.Es fiel mir immer schwer, in Worte zu fassen, was ich sagen wollte.»Agatha ist so schrecklich langsam«, hieß es.Das war die Wahrheit, ich wusste es und akzeptierte es.Es störte mich nicht, und es kränkte mich nicht.Ich hatte mich damit abgefunden, »die Langsame« zu sein.Ich war schon über zwanzig, als mir klar wurde, dass der Bildungsstand bei uns daheim ungewöhnlich hoch gewesen war und ich genauso schnell oder noch schneller als der Durchschnitt reagierte.Meine Aussprache ist immer noch undeutlich.Wahrscheinlich ist das einer der Gründe, warum ich Schriftstellerin geworden bin.Die Trennung von Nursie war der erste große Schmerz in meinem Leben.Einer ihrer früheren Pfleglinge besaß ein Gut in Somerset und hatte sie seit einiger Zeit gedrängt, sich zur Ruhe zu setzen.Er bot ihr ein behagliches Häuschen auf seinem Besitz an, wo sie und ihre Schwester ihre Tage beschließen konnten.Schließlich traf sie ihre Entscheidung.Es war Zeit, mit der Arbeit aufzuhören.Ich vermisste sie schrecklich.Ich schrieb ihr jeden Tag – ein unbeholfenes, kurzes Briefchen mit vielen orthografischen Fehlern
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